
Die vergoldeten Ziffernblätter, die der Uhr des ehemaligen Flughafentower entsprechen, zeigen die Detonationszeiten der Sprengkörper beim Attentat. (Fotos: Gerhard Endres)
28.03.2025
Ein neuer Gedenkort ist in der Messestadt entstanden – auf dem Firmengelände von Brainlab. Er erinnert an den 10. Februar 1970. Damals wurde ein israelisches Flugzeug bei einer Zwischenladung auf dem Flughafen München-Riem von palästinensischen Terroristen überfallen. Ein Passagier starb, elf weitere Menschen wurden verletzt. Take Off! fragte Brainlab-Gründer Stefan Vilsmeier, warum ihm der Gedenkort auch ein persönliches Anliegen ist.
Take Off!: War es für Sie selbstverständlich, gemeinsam mit der Stadt München dieses Erinnerungsprojekt zu unterstützen?
Vilsmeier: Als die Stadt auf uns zukam, mussten wir nicht lange nachdenken. Was folgte, war ein stufenweiser Prozess, der unter Umständen bis zu zehn Jahre dauern kann. Als Unternehmer, der sich durchgehend mit Innovation beschäftigt, bin ich da viel zu ungeduldig. Wir haben der Stadt München daher vorgeschlagen, dieses Projekt als Public-Privat-Partnerschaft zu realisieren. Ich habe später erfahren, dass es im Rahmen einer solchen Partnerschaft das erste Projekt dieser Dimension ist – also ein eigenständiger Erinnerungsort auf dem Gelände eines globalen Unternehmens mit dem Kunstwerk einer international renommierten Künstlerin, mit mehrsprachigem multimedialem Angebot und in transnationaler Zusammenarbeit errichtet.
Bei der Wahl der Künstlerin haben wir großen Wert darauf gelegt, im Sinne der Opfer und ihrer Familien zu entscheiden, zugleich wollten wir etwas Innovatives umsetzen. Vor diesem Hintergrund erschien mir ein abstraktes Denkmal besonders passend. Beim ersten Termin mit Alicja Kwade hat uns die Künstlerin gleich zwei hochinteressante Entwürfe präsentiert. Im nächsten Schritt mussten wir Stadt und Stadtrat dafür gewinnen. Diese Zusammenarbeit habe ich als sehr konstruktiv empfunden. Anschließend brauchten wir noch eine Baugenehmigung, da das Kunstwerk eine bestimmte Höhe übersteigt, und mussten weitere praktische Aspekte der Konstruktion klären.
Der Entwicklungsprozess war doch länger als gedacht?
Ja. Teilweise mussten wir die ursprüngliche Planung anpassen, was letztlich dazu führte, dass der Einweihungstermin verschoben werden musste. Aus meiner Sicht war es den Aufwand wert, das Projekt in der richtigen Qualität umzusetzen.
Eine Frage, die wir intensiv diskutiert haben, war der Standort des Gedenkortes. Unsere erste Idee, es auf die Rasenfläche vor dem ehemaligen Flughafen-Tower zu stellen, mussten wir verwerfen, weil der Boden an dieser Stelle zu abschüssig war. Dann kam uns der Gedanke, es auf dem Wasserspiegel des Beckens vor unserem Gebäude zu platzieren – und tatsächlich ist dieser Ort dafür prädestiniert. Unser Firmenlogo, das sich ursprünglich an dieser Stelle befand, haben wir dafür geopfert. Aus heutiger Sicht ist für mich gar nicht mehr denkbar, dass das Kunstwerk an einem anderen Ort steht. Die Reflexion im Wasser verleiht dem Erinnerungsort eine zusätzliche Dimension: Es regt an, über Zeit, Ort, Ereignisse und Zusammenhänge zu reflektieren.
Warum ist Ihnen Erinnern wichtig?
Es geht mir um die Reflexion darüber, was damals geschah, und darum, dies mit der heutigen Zeit zu verbinden. Aus diesem Grund ist Erinnern wichtig. Als Unternehmen sind wir einerseits natürlich unseren Aktionären, Mitarbeitenden, Ärzt:innen und Patient:innen, Zulieferern, Partnern und dem weiteren geschäftlichen Umfeld verpflichtet. Wir haben andererseits aber auch eine Verpflichtung gegenüber der Region und der Gesellschaft, in der sich unsere Ideen entfalten. Da ist die Messestadt, in der sich unser Hauptsitz befindet, kein so einfaches Gebiet. Dieses junge Stadtviertel ist so komplex wie unsere Gesellschaft, wie das menschliche Zusammenleben. Und dieses Zusammenleben wird auch immer fragil bleiben. Von daher ist es ein wichtiger Impuls, etwas zu schaffen, das die Gesellschaft hier im Viertel zwingt, sich mit der eigenen Geschichte und mit dem, was passiert ist, auseinanderzusetzen. Mit dem Erinnerungsprojekt haben wir den Startpunkt gesetzt und ich bin gespannt, was sich daraus entwickelt.
Die Aktionäre unterstützen das Projekt? Ich nehme an, Sie haben auch ein paar Anteile?
Unternehmen sind auch dem Gemeinwohl verpflichtet. Das bedeutet unter anderem, eine klare Position zu beziehen in einer Zeit, in der Antisemitismus und Ausgrenzung in vielfacher Form neu entfacht werden. Da ist man als Unternehmer ganz klar gefragt, Stellung zu nehmen, als ein wichtiger Teil der Zivilgesellschaft. Diese Haltung ist ebenfalls wichtig für die Mitarbeitenden, denn sie definiert auch, wer wir sind und wer wir in Zukunft sein möchten.
Brainlab ist ein großes, erfolgreiches Unternehmen. Sie betonen immer wieder Ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Wie definieren Sie Ihre Rolle? Sie können für andere ein Vorbild sein.
Grundsätzlich sind wir als Unternehmen Teil der Gesellschaft, über unsere Produkte wirken wir in sie hinein. Bisher haben über 22 Millionen Patient:innen von der Technologie von Brainlab profitiert. Zudem sind wir auch kulturell sehr engagiert: Wir richten pro Jahr mindestens fünf Aufführungen der Bayerischen Staatsoper aus, als Innovationspartner und Sponsor des „JA, MAI“ Festivals. Darüber hinaus arbeiten wir mit den Münchner Philharmonikern zusammen, die regelmäßig Konzerte bei uns im Haus veranstalten.
Als Unternehmen fühlen wir uns einem gesellschaftlichen Wertesystem verpflichtet und engagieren uns daher auch in den Schulen, Bildungseinrichtungen und Sportvereinen. Grundsätzlich würde ich mir in dieser Hinsicht mehr gesellschaftliches Engagement von Unternehmensseite wünschen.
Die Messestadt ist komplex, vielfältig: Wie sehen Sie derzeit und zukünftig Ihre Rolle in der Messestadt?
Wir wollen hier nicht abgeschottet sitzen, sondern offen sein und uns in unser unmittelbares Umfeld integrieren. Diversität ist sowohl Wert als auch Vorteil, und die Messestadt ist divers. Aus Diversität kann sich Kreativität entfalten, dies wollen wir als Unternehmen vorleben. Ich selbst bin nur zehn Minuten entfernt von hier aufgewachsen und hatte als junger Unternehmer keine großen finanziellen Ressourcen, aber ich hatte gute Ideen.
Heute wollen wir kulturelles Engagement und Erinnern sichtbar machen, um Erwachsene und Kinder, die hier leben und aufwachsen zu motivieren, sich damit auseinanderzusetzen. Dabei geht es uns gerade um diejenigen, die sonst vielleicht keine Berührungspunkte damit haben. Daher versuchen wir, Brücken zu schlagen, indem wir Integration und Diversität vorleben und Veranstaltungen mit lokalen Schulen und Vereinen initiieren.
Was treibt Sie selbst an? Woher kommt Ihre eigene Motivation?
Mich hat schon immer der Gedanke angetrieben, etwas Positives zu bewirken. Mit 15 Jahren bekam ich meinen ersten Computer, einen Commodore 64. Dies war mein Ausgangspunkt, um kreativ tätig zu werden, und das zieht sich bis heute wie ein roter Faden durch mein Leben. Auch das Unternehmen Brainlab ist für mich ein Medium, um kreativ zu sein. Dazu gehört für mich, innovative Medizintechnologie für Ärzt:innen und Patient:innen voranzutreiben, aber auch die Themen Erinnerungskultur und die Erinnerungskunst.
Interview: Gerhard Endres