Auch in der Lehrer Wirth Grund- und Mittelschule wird Islamunterricht angeboten. Darüber sprechen möchte die Schulleitung nicht. (Foto. R. Miesbach)

Islamischer Religionsunterricht in der Messestadt

29.10.2025

Statt Katholisch, Evangelisch oder Ethik können viele muslmische Schüler seit einigen Jahren auch Islamunterricht wählen. Take Off! hat zwei Bildungs-Expertinnen zu den Erfahrungen befragt.

„Islamischer Unterricht beugt Radikalisierung vor“

Beim Thema Islamischer Unterricht (IU) herrscht Schweigen in der Messestadt: Die Schulleitungen der Grundschulen wollten darüber nicht mit Take Off! sprechen. Dafür erklärte sich Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV), zu einem Exklusiv-Interview bereit.

Frau Fleischmann, die Schulleitungen der Messestädter Grundschulen wollten nicht mit uns über den islamischen Unterricht (IU) reden. Können Sie das verstehen, und was ist aus ihrer Sicht der Grund ?

Simone Fleischmann,Präsidentin des BLLV
Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV

Ich glaube nicht, dass die Schulleiterinnen und Schulleiter nicht über den IU reden wollen, sondern dass es ihnen vielmehr darum geht, die Hintergründe des Unterrichts, die Struktur und auch die Realisierbarkeit von staatlichen Vorgaben zu reflektieren. Die Schulleitungen halten diesen Unterricht so ab, wie es laut dieser Vorgaben vorgesehen ist. Die realen Bedingungen lassen manche innovativen Ansätze leider oftmals nicht zu. Trotz allem setzen Schulleitungen diese Ansätze dennoch um, weil sie wichtig sind, weil sie den Schülerinnen und Schülern gerecht werden und weil sie vor Ort die einzige Möglichkeit sind, um diese Kinder zu unterrichten.
Wir Schulleiterinnen und Schulleiter wollen, dass sich diese Kinder und Jugendlichen an unseren Schulen und in Bayern beheimatet fühlen, dass sie ihre Religion leben können und dass wir gemeinsam all unsere Religionen achten.

Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht ein möglichst flächendeckender islamischer Unterricht?

Der BLLV war es, der schon seit Jahrzehnten den Islamischen Unterricht forderte. Bedarfsgerecht, also überall dort, wo er nachgefragt wird. Hierfür braucht es weitere Lehrstühle an den Universitäten, weitere Studienmöglichkeiten und dann aber auch professionelle Modelle der Umsetzung. Je mehr Kinder ihren Religionsunterricht an unseren Schulen in Bayern bekommen, desto besser funktioniert die Integration. Islamischer Unterricht beugt Radikalisierung vor. Wenn ich mich an meiner Schule abgeholt fühle, weil mein Religionsunterricht dort angeboten wird, dann fühle ich mich dort auch beheimatet.

Welche Aufgabe, Rolle hat heute ein zeitgemäßer integrativer Religionsunterricht für die Schulen und die Gesellschaft insgesamt?

Die Gesellschaft ist vielfältig. In der Gesellschaft kommt es für jeden von uns darauf an, dass wir mit der Vielfalt empathisch umgehen können, sonst gelingt uns der gesellschaftliche Zusammenhalt nicht. Egal welche Arten von Religionsunterricht wir anbieten, alle tragen dazu bei, meine eigene Religion zu reflektieren, meine Werte zu kennen und dafür einzustehen. Aber auch um die von anderen zu wissen, sie nachzuvollziehen und empathisch damit umgehen zu können.
Die Gesellschaft von morgen braucht Schülerinnen und Schüler, die integrativ denken, andere Religionen verstehen und annehmen und sich in ihrer eigenen religiösen Identität sicher sind.

Es fehlen Lehrer, auch die Zahl der Religionslehrer nimmt offensichtlich ab. Viele Lehrer sind im Kirchendienst und unterrichten meist nur das Fach Religion. Wäre es nicht wichtig, dass mehr Religionslehrer auch andere Fächer unterrichten können?

In ganz Deutschland herrscht Lehrkräftemangel. Auch Religionslehrkräfte sind Mangelware. Nicht nur deswegen braucht es kreative Modelle, z.B. eines gemeinsamen katholischen und evangelischen Religionsunterrichts, wie sie ja auch jetzt in Bayern möglich sind. Das ist auch die Antwort auf eine strukturell notwendige Veränderung, denn die Begegnung von Religionen kann sowohl in den einzelnen Religionsunterrichten passieren, aber eben auch in integrativen Modellen.
Wichtig für einen professionellen Religionsunterricht ist jedoch immer eine professionelle Ausbildung. Mehr Lehrerinnen und Lehrer, die Islamischen Unterricht geben können, gibt es nur, wenn die Ausbildung auch nachhaltig, professionell und umfänglich ausgeweitet wird.

Interview: Gerhard Endres

 

Islam-Unterricht in der Messestadt: „Alle müssen auch Kompromisse eingehen“

In unserem Viertel gibt es seit über 14 Jahren Islam-Unterricht (IU) in den Grund-und Mittelschulen. Wie hat er sich entwickelt, wo kann er noch besser werden? Darüber sprach Take Off! mit Catherine Aicher, Direktorin im Staatlichen Schulamt München.

Frau Aicher, welche Fakten können Sie uns nennen zum islamischen Unterricht an den Grund- und Mittelschulen?

Catherine Aicher, Schulamtsdirektorin im Staatlichen Schulamt München
Catherine Aicher, Schulamtsdirektorin im Staatlichen Schulamt München

Das Wichtigste ist, dass es sich um ein staatliches Angebot in deutscher Sprache handelt. Der Islamische Unterricht vermittelt Inhalte und Kenntnis über die islamische Religion und auch über andere Religionen. Es geht um eine grundlegende Wertorientierung. Das Besondere ist, dass diese im Geiste der Bayerischen Verfassung und des Grundgesetzes vermittelt wird.

Islamischer Unterricht ist seit 2021 Wahlpflichtfach. Wie hat er sich entwickelt?
Der Islamunterricht hat eine jahrzehntelange Tradition. Früher gab es eine islamische Unterweisung in türkischer Sprache mit Lehrerkräften aus dem damaligen muttersprachlichen Unterricht. Als nächstes gab es den Modellversuch islamischer Unterweisung in deutscher Sprache. Alle Beteiligten waren damit zufrieden: Eltern, Schüler, Pädagogen und die Wissenschaft.
2021 hat das Kultusministerium das bayerische Erziehungs-und Unterrichtsgesetz geändert und damit die Möglichkeit geschaffen, dass der IU als reguläres staatliches Unterrichtsangebot in deutscher Sprache als Wahlpflichtfach an allen Schularten angeboten werden kann.

Katholik im Islamischen Religionsunterricht – nur ausnahmsweise

Was bedeutet Wahlpflichtfach?
Jeder Schüler muss eines dieser Fächer belegen, d.h. Katholischen oder evangelischen Religionsunterricht, islamischen Unterricht oder Ethik.

Kann auch ein katholischer Schüler den islamischen Unterricht belegen?
Ein getauftes Kind besucht normalerweise den Religionsunterricht seiner Konfession. Das ist so vorgesehen und nur auf Antrag der Erziehungsberechtigten wird der Besuch eines anderen Unterrichts genehmigt. Das Unterrichtsangebot IU ist spezifisch auf muslimische Schülerinnen und Schüler zugeschnitten und als Wahlpflichtfach ausgestaltet, das als Alternative zu Ethik besucht werden kann.

In der Messestadt sind die Muslime nach unserem Kenntnisstand die größte Religionsgemeinschaft. Wie wichtig ist dem Schulamt der islamische Unterricht, und welche Aufgabe hat er über den Unterricht hinaus?

Der islamische Unterricht leistet einen sehr wesentlichen Beitrag zur Integration. Dadurch, dass der Unterricht in deutscher Sprache stattfindet, unterstützt er die Kommunikation. Für die Schülerinnen und Schüler gibt es einen Ort und Zeit, sich mit dem Islam auseinanderzusetzen. Das hat für das Staatliche Schulamt einen ganz großen Stellenwert. Die Eltern werden so stärker auch in das Schulleben integriert und spüren, dass sie auch als Muslime akzeptiert werden.

Bekommen Sie von den Eltern Rückmeldungen? Bei den Muslimen gibt es ja unterschiedliche Strömungen, und der IU ist ein staatlicher Unterricht, bei dem die muslimischen Verbände nicht einbezogen sind.

Interessanterweise bekommen wir relativ wenig Rückmeldungen über den Unterricht, wo er bereits eingerichtet ist. Vielmehr bekommen wir von engagierten Eltern Anfragen, die sich so ein Angebot an ihrer Schule wünschen, die versuchen herauszufinden, was sie tun können, dass es an ihrer Schule so ein Angebot geben kann. Ich führe da immer wieder Gespräche mit Eltern, die auch gut informiert sind und dieses Angebot sehr wertschätzen und es für ihre eigenen Kinder wünschen.

Unterschiedlichste Ausbildungen bei Islam-Lehrern

Wer kann Lehrer für islamischen Unterricht werden, welche Voraussetzungen sind dazu notwendig?

Die Regierung von Oberbayern ist für die Prüfung zuständig, ob Lehrkräfte für den islamischen Unterricht die fachlichen Voraussetzungen haben. Das Staatliche Schulamt bekommt von der Regierung von Oberbayern die Lehrer zugewiesen. Man kann zwischen zwei Gruppen von Lehrkräften unterscheiden: Die grundständig ausgebildeten Grund- und Mittelschullehrkräfte, die ein Lehramt studiert haben und die in Nürnberg ein Erweiterungsfach islamischer Unterricht studiert haben und dann die Lehrerlaubnis für den IU haben.
Die zweite Gruppe von Lehrkräften verfügt über unterschiedlichste Ausbildungen, zum Teil auch im Ausland erworben, die sich bei der Regierung von Oberbayern bewerben können. Nach der Prüfung ihrer Unterlagen bekommen sie noch eine modulare zusätzliche Ausbildung in Methodik und Pädagogik an der Akademie für Lehrerfortbildung in Dillingen. Mit dieser Ausbildung erhalten sie die Lehrerlaubnis für islamischen Unterricht.

Es gibt aber weiterhin zusätzlichen Bedarf an Lehrern auch für den Islamischen Unterricht?

Ja es gibt einen Bedarf, wir freuen uns wenn wir in jedem Bereich und Fach Lehrkräfte bekommen.
Lehrer des islamischen Unterrichts haben meistens nur dieses eine Unterrichtsfach. Für die Schulleitungen ist das sicher nicht einfach dies zu koordinieren.

Was gibt es da für Lösungen?

Jedes Jahr ist es eine große Herausforderung für das Unterrichtsangebot des IU im Stadtgebiet München. Die Schulleitungen wünschen sich von uns gut ausgebildete, qualifizierte Lehrkräfte, die natürlich flexibel sind. Wir versuchen nach Möglichkeit, Stundenpläne und Einsatzpläne für die Lehrkräfte und Schulleitungen zu erstellen, die leistbar sind, zumutbar und natürlich auch pädagogisch wünschenswert. Alle müssen auch Kompromisse eingehen.

Zusammenarbeit mit anderen Religionen nicht überall gut

Wie ist denn die Zusammenarbeit vor Ort von Lehrern der christlichen Religionen mit den Lehrern des islamischen Religionsunterrichts?

In den Schulen und bei den Personen ist das unterschiedlich: An manchen Schulen gelingt das ganz hervorragend und es gibt viele interkulturelle Projekte und Veranstaltungen. Es gelingt häufig dann, wenn die Lehrkräfte sich schon mehrere Jahre kennen, wenn Ethikunterricht, katholischer, evangelischer Religionsunterricht und islamischer Unterricht gut eingeführt ist und die Lehrer eng zusammenarbeiten.
Für Lehrer, die nur Religionsunterricht geben und in mehreren Schulen unterrichten ist die Koordination vor Ort schwierig.

Wäre es nicht sinnvoll, die Lehrer zu motivieren noch ein zusätzliches Fach zu studieren?

Das ist ein spezielles Thema. Die Lehrkräfte, die nur Religionsunterricht unterrichten, sind ganz anders ausgebildet, als die grundständig ausgebildeten Grund-und Mittelschullehrer. Die Religionslehrer sind häufig auch in der Kirche tätig, als Pastoralreferenten etc. Das ist ein Bereich, da haben wir keinen Einfluss. Was die Islamlehrkräfte betrifft, hat es auch mit der persönlichen Neigung zu tun, ob man sich für ein weiteres Fach interessiert. Wir motivieren durchaus, wenn die Grundvoraussetzungen vorhanden sind. Die Entscheidung liegt natürlich dann im privaten Bereich.

Sie unterstützen das, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind?

Wir motivieren jedes Jahr die Schulleitungen, Lehrkräfte, die muslimischen Glaubens sind, anzusprechen, ob Sie bereit sind für die zusätzliche Ausbildung in Dillingen für die Unterrichtung des IU. Es gibt auch jedes Jahr Lehrkräfte, die sich anmelden.

Welchen Stellenwert hat gerade in dieser aufgeregten Zeit diese interkulturelle, interreligiöse Zusammenarbeit – müsste sie noch verstärkt werden?

Es gibt ganz viele Herausforderungen, alle diese Themen haben ihre Berechtigung. Die Schulen haben die Möglichkeit ihre Schwerpunkte zu setzen. Die Schulleitungen wissen sehr genau, was brauchen unsere Schüler, was braucht meine Schule ganz besonders. Wenn Schwerpunkte gesetzt werden, sind wir als staatliches Schulamt selbstverständlich immer bereit, dies zu unterstützen.

Die christlichen Kirchen haben jetzt nicht mehr diese selbstverständliche Akzeptanz wie früher. Wie erleben Sie die Lehrer, die nicht religiös gebunden sind, wenn es den IU gibt?

Den islamischen Unterricht gibt es an den Schulen, wo es viele muslimische Schüler lernen, an diesen Schulen ist das interreligiöse Miteinander auch für die Lehrkräfte eine Selbstverständlichkeit. Ich erlebe an vielen Schulen auch Lehrkräfte mit Migrationshintergrund, die ganz bewusst dort unterrichten und sich darauf einlassen.

Interview: Gerhard Endres