v. l.: Tilman Renz vom Bürgerforum Messestadt, Nina Diemer – Moderatorin und Jugend-Expertin beim Sozialen Netzwerk Regsam, Wolfgang Krach – Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Hans Häuser – Moderator und Chefredakteur Take Off!, Andrea Kister – Programmbereichsleiterin Politik und Wirtschaft des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Stichtmann –  Quartiersmanager der Riem Arcaden

Zeichnen Medien ein falsches Bild von der Messestadt?

12.12.2024

Das war Thema beim vierten „Talk im Kopfbau“, einem Gemeinschaftsprojekt von Take Off! und unsere-messestadt.de. Zwei Beiträge im BR-Magazin „Kontrovers“ hatten sich auf eine Weise der Jugendkriminalität im Viertel gewidmet, die viele als stigmatisierend und reißerisch kritisierten. Geradezu idyllisch präsentierte andererseits ein CSU-Wahlspot die Messestadt. Liegt die Wahrheit einfach nur in der Mitte? Oder bleibt vor allem die negative Botschaft hängen und ruiniert den Ruf des Viertels?

(Den kompletten Talk im Kopfbau können Sie sich hier anschauen.)

Um es vorwegzunehmen: Der CSU-Spot wurde von den Bürger:innen allenfalls kurz belächelt – im Fokus standen die beiden Fernsehberichte und die zwar sehr höflich-beherrschte, aber doch äußerst geharnischte Kritik der Bewohner an den beiden Filmen, aus denen Moderator Hans Häuser, Take Off-Chefredakteur und im Hauptberuf BR-Mitarbeiter, zu Beginn Ausschnitte gezeigt hatte.

„Uns ging es in dem Beitrag nie um die Messestadt.“

Dieser gab zunächst der Redakteurin Andrea Kister die Chance, das Ansinnen der Filme darzulegen. Ihre Mitarbeiter hätten lediglich einen Beitrag über „Jugendgangs in Großstädten“ machen wollen und hatten das Glück, Kontakt zu jemandem aus der Messestadt aufbauen zu können: „Es ist nicht so einfach, in die Szene reinzukommen. Es war halt einfach ein Zufall. Uns ging es in dem Beitrag nie um die Messestadt“, so Kister.

Dieser Eindruck aber entstehe, kritisierte nicht nur Tilman Renz vom Bürgerforum, sondern indirekt auch Regsam-Moderatorin Nina Diemer und der Quartiersmanager der Riem Arcaden, Ulrich Stichtmann. Auch aus dem Publikum wurden die Stellen erwähnt, in denen sich das Filmteam explizit und wenig schmeichelhaft auf die Messestadt bezogen hatte.

„Unseriös“, „einseitig“, „skandalisierend“

Es fielen Worte wie unseriös, boulevardesk, einseitig, undifferenziert, Skandalisierung. Eine Frau erklärte, sie habe eine Immobilie im Viertel erworben und ihre Familie freue sich eigentlich auf den Umzug. Doch angesichts solcher Bilder mache sie sich Sorgen.

 

Hans Häuser präsentierte Auschnitte aus dem „Kontrovers“-Beitrag des Bayerischen Rundunks

„Sie nennen sogar Straßennamen“, klagte Diemer: Man wisse, welch negative Folgen das für Jugendliche bei Bewerbungen haben könne. Auch Kollegen aus dem sozialen Bereich scheuten sich wegen solch negativer Vorerfahrungen, überhaupt mit Medien in Kontakt zu treten. Renz betonte, die Münchner Polizeistatistik lenke den Blick in Puncto Jugendkriminalität auf ganz andere Viertel.

„News is, what’s different.“

SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach, nach eigenen Worten glücklich wohnhaft in der Messestadt, verteidigte den BR. Man dürfe Medienberichterstattung nicht daran messen, ob sie immer repräsentativ sei. „News is, what is different“ ist ihm zufolge ein wichtiges journalistisches Kriterium. Zu deutsch etwa: Eine Nachricht ist das, was anders, was neu ist. Als Bewohner aber sei er „bewegt, betrübt, traurig“ angesichts dieser Berichte, so Krach. Wie mancher im Publikum erwähnte auch er die martialisch anmutende Verfremdung. Das entmenschliche die Jugendlichen. „Sie machen aus den Kids Aliens“, erklärte auch Bewohner Gregor Kern. Der BR habe deren Persönlichkeitsrechte schützen müssen, konterte Andrea Kister.

Interviewte kamen nicht zu Wort

Ein Argument, das Karl-Michael Brand, Leiter des Jugendzentrums Quax, wütend aufgriff: „Ja, man hat sie schützen müssen, weil sie teilweise noch unter 14 waren.“ Die Kids vom Film hätten sich ihm anvertraut hinterher. Er habe mit ihnen die Filme medienpädagogisch aufarbeiten müssen.

Und Brand erhob weitere Vorwürfe: Er selbst und auch der Messestädter Frieder Graffe, früher Münchens Sozialreferent, seien für einen zweiten Beitrag vom BR interviewt worden – was aber nie gesendet worden sei, offenbar, weil ihre Aussagen nicht zu denen aus den Filmen gepasst hätten. Ein Vater im Publikum stützte Brands Aussagen: Seine Söhne seien von Kumpels angerufen worden, ob sie nicht auch kommen wollen zum Dreh mit dem BR. Mancher habe sich wegen der Medienaufmerksamkeit da wohl als Filmheld gefühlt. Kister wies dies alles zurück: Ihr Sender stelle keine solchen Szenen. Und man könne leider nicht immer alle Gesprächspartner in einem Film zeigen.

Kritik auch an Take Off!

„Medienschelte“ gab es auch für Take Off! selbst. Der Diskussionstitel „Messestadt: Ghetto oder Idyll“ sei daneben, so Herbert Danner, Bezirksausschuss-Mitglied der Grünen. Historisch habe Ghetto eine wesentlich schlimmere Bedeutung. Man müsse da sensibel bleiben. Sensibel aber solle man auch bitte mit diesem „tollen Viertel Messestadt“ umgehen.

Der Abend brachte aber auch versöhnliche Töne. So erklärte Bewohner Claus Fussek, man solle das alles nicht so hoch hängen, die Bewohner sollten angesichts der Messestadt-Qualitäten lieber selbstbewusster sein. Und Zuzügler müssten sicher nicht ihre Immobilie wieder verkaufen. Dazu passte, dass Krach erwähnte, die SZ habe in ihren jüngsten Beiträgen unisono über Positives berichtet wie den neuen Schulcampus und die Bibliothek.

„Bad news is good news.”

Kister erklärte, sie habe viel gelernt in dem Talk – unter anderem, wie persönlich die Zuschauer diese Berichte genommen hätten. Und es meldete sich Bahar Bektas zur Wort, junge, bereits preisgekrönte Filmemacherin. Sie habe spontan als Reaktion mit Jugendlichen aus dem Viertel einen eigenen Film gedreht. Titel „Wir gehen Hof“, zu sehen am 11. Januar um 17 Uhr im Quax. Eines müsse sie klarstellen: „Ich war nicht die Regisseurin. Regie geführt haben die Jugendlichen.“

Fazit von Hans Häuser: „Auch eine schlechte Berichterstattung muss am Ende nicht schlecht sein für uns.“ In diesem Zusammenhang erwähnte er eine andere journalistische Weisheit: „Bad news is good news.“ Schlechte Nachrichten können die Aufmerksamkeit des Publikums wecken und den Wunsch, dem Negativen etwas Positives entgegenzusetzen.

Renate Winkler-Schlang

Richtigstellung:
In der Fassung vom 12.12.2024 war folgende Behauptung zu lesen:
„Manche hätten Geld bekommen für ihren „Auftritt“, seien vom Team mit GoPros (Kameras am Körper) ausgestattet worden, die sie sogar hätten behalten dürfen.“
Take Off! stellt hiermit fest, dass diese Behauptungen falsch und unwahr sind. Richtig ist, dass der BR seinen Protagonisten weder Geld noch Zuwendungen hat zukommen lassen und der BR den Protagonisten auch keine Kameras überlassen hat. 

 

Diskussion verpasst?

Das komplette Video vom Talk im Kopfbau können Sie sich hier anschauen:

Zitate

Andrea Kister, Programmbereichsleiterin Politik und Wirtschaft des Bayerischen Rundfunks:

„Ich habe heute gespürt, was unsere Beiträge ausgelöst haben. Die Leute, die hier wohnen, haben das sehr persönlich genommen.“

Wolfgang Krach, Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, selbst Bewohner der Messestadt:

„Beide Filme haben meine Wahrnehmung bereichert. Das ist ja Wirklichkeit. Aber eben nur ein Teil der Wirklichkeit.“

Nina Diemer, Moderatorin und Jugend-Expertin beim Sozialen Netzwerk Regsam:

Es gab aus dem Sozialbereich ganz viel Resonanz, zwischen Irritation und Erschütterung.“

Ulrich Stichtmann, Quartiersmanager der Riem Arcaden:

„Es entsteht der Eindruck, das geschähe hier jeden Tag. Irgendwann wird das schon mal rufschädigend.“

Tilman Renz vom Bürgerforum Messestadt:

„Es geht mir nicht um Medienbashing. Ich halte extrem viel vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber ich habe auch Ansprüche wie Fakentenorientierung und Lösungsorientierung.“

Welche Filme liefen denn hier?

Hier können Sie die Messestadt-Berichte des Bayerischen Rundfunks aus dem vergangenen Jahr nochmal anschauen:

Hier gehts zum Wahlwerbespot der CSU aus dem Jahr 2021