Das Herz am rechten Fleck: Lida möchte sich bei den Menschen im Viertel für die Solidarität der letzten Wochen bedanken! (Foto: H. Häuser)

Am liebsten möchte Lida alle umarmen!

22.02.2024

Nach wiederholten Überfällen auf den Tante-Emma-Laden an der Selma-Lagerlöf-Straße haben Nachbarn Spenden für die Inhaberin gesammelt. Die zeigt sich überwältigt von der Solidarität und berichtet, warum sie trotz der Vorfälle weitermacht.

Zum Jahreswechsel ist Velida Abdic umgezogen. Von der einen Seite der Selma-Lagerlöf-Straße auf die andere. Ein kleiner Weg nur, eine kleinere Wohnung jetzt, aber ein großer Schritt für Lida, wie sie alle im Viertel nennen. „Der Ortswechsel tut mir gut nach diesem Jahr. Die Beschäftigung mit der neuen Wohnung hat mir geholfen. Ich hoffe auf neues Glück.“
2023 hat sie einiges Unglück durchgemacht. Dreimal ist ihr Laden Opfer von Kriminellen geworden. Im April haben Jugendliche ihr alle E-Zigaretten geklaut. Im Juni sind Unbekannte nachts eingebrochen, haben ihr komplettes Münzgeld gestohlen. Und zuletzt, kurz vor Weihnachten, kamen, wie sie erzählt, drei Männer zu ihr. Einer wartete im Wagen, zwei im Laden, bis keine Kunden mehr anwesend waren. Dann habe sie einer mit einem Schlagring bedroht und sei mit ihren Tageseinnahmen abgehauen.

Das Gefühl der Sicherheit verloren

Die Polizei spricht von nur einem Täter, hat auch einen Tatverdächtigen festgenommen, ihn aber wenig später wieder freigelassen. Es bedürfe noch weiterer Ermittlungen, hieß es. Wie auch immer: Lida hat in diesem Jahr mehrere tausend Euro verloren – und ein bisschen auch den Glauben, dass sie sicher ist, hier, in der Messestadt, in ihrem Geschäft. Pfefferspray hat sie seitdem immer dabei, und daheim noch einen großen Schraubenzieher neben dem Bett.
Lida kämpft sich durch diese Zeit. „Was dich nicht zerstört, macht dich stärker. Ich bin dankbar für das, was ich habe: Meine Kinder, meine Kunden. Die Liebe.“ Liebe, die sie jeden Tag verteilt. Jedes Kind verlässt ihren Tante-Emma-Laden mit einer kleinen Süßigkeit. Jeder Nachbar, der mit Sorgenfalten hineinkommt, geht mit einem Gefühl der Erleichterung hinaus. Weil Lida zuhört. Und Trost spendet. „Der Mensch braucht das Gefühl, dass er nicht allein ist“, sagt sie, während sie das Paket einer Kundin registriert und auf einem Haufen ablegt.

„Die Leute vertrauen mir.“

„Emotionen sind ein großer Wert seit meiner Kindheit. Und die Leute vertrauen mir, weil sie wissen: Was sie mir erzählen, nehme ich mit ins Grab.“ Seit Corona seien viele Leute besorgter, kämpften mit finanziellen Problemen. Jugend-liche würden kriminell. Es gebe viel häusliche Gewalt. Auch die heute 55-Jährige hatte es nicht immer leicht. Die Familie zog früh von Bosnien nach Slowenien.
Lida wollte Krankenpflegerin werden, Stewardess oder Polizistin, aber die Eltern erlaubten es nicht, beharrten auf einer Ausbildung im Bergbau, wo ihr Vater arbeitete. Um ihren Mann zu heiraten, ging sie zurück nach Bosnien, dann mit ihm nach München. Er versorgte die Baustellen in der Messestadt mit Beton und entdeckte den Laden an der Ecke Selma-Lagerlöf / Mutter-Teresa-Straße. So fing es an, 2008. Damals wohnte sie mit den beiden Söhnen in Berg am Laim, 2017 zog sie in die Messestadt. Der Mann war da schon wieder zurück in Bosnien.
Der Laden läuft einigermaßen, sagt sie. Aber es ist halt viel Arbeit. Dienstag bis Sonntag, 50 bis 60 Stunden ist er offen. Montag macht sie seit Kurzem einen Ruhetag, der aber meistens mit Einkaufen und Arztterminen draufgehe. Aushilfe oder Angestellte habe sie probiert, aber es habe nicht funktioniert. Ans Aufhören denkt sie manchmal, aber verwirft den Gedanken schnell wieder. Schließlich kann sie hier selbständig sein, den ganzen Tag quirlig sein und in ihrem ganz eigenen Rhythmus arbeiten. Da plötzlich aussteigen und vielleicht einen Angestelltenjob annehmen, käme für sie nicht infrage.

Hilfe für die Helferin

„Jeder muss sich selbst helfen“, das sagt ausgerechnet sie, die für so viele im Viertel eine so große Hilfe ist. Nach dem Überfall vor Weihnachten hat eine Nachbarin Spenden gesammelt. Über 5.000 Euro kamen zusammen, Dutzende Anwohner haben sich an der Aktion beteiligt. „Ich möchte am liebsten alle umarmen. Danke, dass wir alle im Viertel zusammenhalten.“ Noch viel mehr wert als das Geld ist ihr die Geste, die dadurch zum Ausdruck kommt: die Geste der Menschlichkeit. Seit Wochen schon grübelt Lida, wie sie sich für die Solidarität bedanken kann. Vielleicht wird sie eine kleine Party machen, im Sommer, wenn es wieder warm ist und man draußen sitzen kann.
Nötig wäre das wahrscheinlich nicht. Die meisten sind sicher einfach froh, dass Lida auch 2024 immer noch da ist, mit ihren Waren und Dienstleistungen, vor allem aber mit ihrem großen Herzen.

Hans Häuser