Norbert Blesch. Fotos: Gerhard Endres

“Als Stadtteilbürgermeister würde ich mich sofort bewerben”

19.01.2024

Norbert Blesch, Geschäftsführer von STARTSTARK, hat zum Jahreswechsel seine Arbeit in der Messestadt beendet. Ein Gespräch über Erreichtes und das, was im Viertel noch fehlt.
Startstark engagiert sich seit 2017 für junge Menschen in der Messestadt, betreibt unter anderem den Jugendtreff Gate 6 in der Heinrich-Böll-Straße 5 und hat sich für eine Kinderarztpraxis im Viertel eingesetzt. Weitere Infos auf www.startstark.de

Herr Blesch, sie haben in der Messestadt viele Projekte konzipiert, geplant und umgesetzt. Können Sie für sich ein paar Höhepunkte nennen?
Das fällt mir durchaus schwer, zu gewichten. Eigentlich verdienen alle Projekte, die wir hier realisieren, die gleiche Aufmerksamkeit. Sicherlich ist eines der Highlights, dass es nach jahrelangen Bemühungen und zahlreichen Suchbewegungen endlich einen Kinderarzt in der Messestadt gibt. Das zweite ist für mich, dass es uns mit dem GATE 6 gelungen ist, innerhalb kürzester Zeit und trotz Corona, einen offenen Ort des Lernens zu schaffen, der von den jungen Menschen angenommen wird. Aktuell kommen im Monat durchschnittlich 1.500 mal junge Menschen mit den unterschiedlichsten Anliegen zu uns: Schüler/innen kommen zum Lernen, Bürger/innen haben Fragen, Kooperationspartner/innen nutzen Räume. Das ist eine stattliche Zahl. Der Ort ist im Stadtteil angekommen.

 


Sie unterstützen Jugendliche ja auch bei der Suche nach dem für sie passenden Beruf.

Ja, die Berufsorientierung ist mitterweile fester Bestandteil des schulischen Alltags. Wir erreichen mit unseren Projekten heute alle Jugendlichen der Mittelschule von der 7. bis zur 9. Klasse, sowie einen Teil der Schüler/innen im Sonderpädagogischen Förderzentrum. Mit unserem „Kooperationsprojekt Messestadt Riem“ begleiten wir jedes Jahr 30 bis 40 Jugendliche in eine Berufsausbildung oder in eine weiterführende Schule. Das ist für mich auch ein Highlight.

Wie finanzieren Sie STARTSTARK?
Das gesamte Engagement von STARTSTARK wird nach wie vor ausschließlich durch private Mittel und einer Vielzahl von Stiftungsmittel finanziert: UNderen von der Stiftung Lichtblick Kinder- & Jugendhilfe, dem Deutschen Hilfswerk, der Bildungsstiftung der Stadtwerke München und der Jugendstiftung der Stadtsparkasse. Bisher sind in unsere Projekte kein Cent kommunale oder staatliche Mittel geflossen.

Die Beendigung ihrer Tätigkeit als Geschäftsführer kam überraschend. Haben sie schon alles erreicht, was sie wollten?
Dass die Nachricht über mein Weggehen eher überraschend kommt, das tut mir in einer gewissen Weise auch leid. Intern arbeiten wir schon bald seit einem halben Jahr an einer Nachfolgeregelung. Die Gesellschafterin von STARTSTARK, die Stiftung Lichtblick Kinder- und Jugendhilfe, wird sicherlich in nächster Zeit über meine Nachfolge informieren. Es passiert ja letztlich nicht viel, außer dass der Blesch halt geht. STARTSTARK wird bleiben.

Nochmal zurück zur Frage, ob Sie schon alles erreicht haben…
Wenn man sich einen Stadtteil, wie die Messestadt anschaut, dann wird man feststellen müssen, dass man nie ganz fertig wird. Neben den Angeboten für die Schülerinnen und Schüler geht es STARTSTARK immer auch um die Frage, wie sich das Quartier weiterentwickelt. Ziel muss sein, dass alle hier zu einer Verantwortungsgemeinschaft zusammenwachsen, so dass letztlich kein junger Mensch zurückgelassen wird. Das Engagement in der Messestadt ist unbenommen sehr groß. Und dennoch ist die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit ein ständiger Prozess. Ich hätte da schon noch die ein oder andere Idee, was man tun müsste oder könnte. Kurzum: Wir haben viel geschafft, es gäbe aber auch noch viel zu tun.

Sie betonen ja, dass wirksame Angebote erst durch das Zusammenwirken vieler Akteure wirklich gelingen. Wäre es da nicht notwendig, die Förderung von Jugendlichen mit komplexen Bildungsbiographien noch stärker von der öffentlichen Hand zu organisieren?

Wäre unser Bildungssystem so aufgestellt, dass es alles Notwendige, in geeigneter Weise und im erforderlichen Umfang tun würde und könnte, damit alle junge Menschen unabhängig von ihrem sozio-kulturellem Hintergrund und ihrem persönlichem Vermögen die gleiche Chance auf Bildung bekämen, dann müssten sich Initiativen wie STARTSTARK weniger engagieren. Meiner Meinung nach aber ist unser Bildungssystem mangelhaft aufgestellt. In diese „Lücke“, die sich da auftut, gehen dann private Initiativen wie STARTSTARK. Zurück zur Frage, ob die „öffentliche Hand“ mehr tun müsste: Ja. Aber auch dann wären private Initiativen sicherlich sinnvoll und wichtig. Sie könnten dann quasi die „Sahne in der Suppe“ sein: Bildungssystem und die privaten Initiativen könnten sich gut ergänzen.

In manchen Gesprächen mit Ihnen hatte ich immer wieder das Gefühl, dass Sie Verwaltungsabläufe als zu starr erleben. Liege ich da falsch? Wie sehen sie das?
Meine Hauptkritik ist, dass wir nicht oder viel zu wenig vom Ziel her denken. Viel zu oft geht es immer erst um die die Frage nach der Zuständigkeit. Und das ist alles andere als die Frage danach, was wir eigentlich wollen. Ein kleines Beispiel: Wenn wir wollen, dass der Sportplatz der Schule auch nach 16 Uhr geöffnet ist, dann haben wir es mit zwei unterschiedlichen Zuständigkeiten zu tun: Die Zuständigkeit für den Schulbetrieb liegt bei der Schulleitung und damit beim Bildungsreferat. Die Zuständigkeit für das Gebäude und das Gelände liebt beim Kommunalreferat. Selbst, wenn der Schulleiter eine Öffnung der Schulsportanlage begrüßen würde, ist noch lange nicht entschieden, ob der zum Kommunalreferat gehörende Hausmeister mitspielt. Ich würde mir wünsche, das wir uns mehr committen, geleitet von der Frage, was wir gemeinsam erreichen wollen.

Haben Sie noch ein Beispiel?
Mit der Kinderarztpraxis hat es am Ende deshalb geklappt, weil Gesundheitsreferentin Beatrix Zurek nicht nach Zuständigkeiten gefragt hat, sondern sich vom Ziel hat leiten lassen, dass es endlich einen Kinderarzt braucht in der Messestadt. Am Ende sind alle zusammengebracht worden, die es braucht, um dieses Ziel zu erreichen. So etwas würde ich mir an anderen Stellen auch und öfters wünschen.

Sie haben sich als junger Mensch schon früh in der katholischen Jugendarbeit engagiert. Wie haben sie die Kirchen in der Messestadt erlebt?
Ja, ich bin durchaus katholisch sozialisiert. Aber es liegt mir fern, die Arbeit der katholischen Gemeinde in der Messestadt beurteilen zu wollen. Ich glaube, die katholische Kirchengemeinde ist wie viele andere Organisationen in der Messestadt ein Teil dieses Stadtteils. Wie viele andere auch, engagiert sich die Kirchengemeinde mit ihren Projekten und Angeboten hier aktiv, genauso wie das auch die anderen tun, von der Nachbarschaftseinrichtung bis zum Alten- und Servicezentrum. Was alle gemeinsam haben ist, dass jeder eher mit sich selbst und bezogen auf seine Zielgruppe beschäftigt ist. Etwas mehr zielorientierte Zusammenarbeit wäre durchaus möglich. Wir müssten etwas mehr vom „wir müssten mal“ zum „Tun“ kommen. Das ist an niemanden ein Vorwurf. Jeder versucht ganz sicher sein Bestes. Es mangelt meiner Meinung nach an Ressourcen, die das Zusammenwirken organisieren.

Wie könnte das besser werden?
Das vermag weder das Sozialarbeits-Netzwerk REGSAM zu leisten, noch der Bezirksausschuss. Beide haben andere Rollen und Aufgaben. Mit dem städtischen Konfliktmanagement AKIM hatten wir zuletzt so eine zusätzliche Ressource. Das war gut. Und schon sind erste Mikroprojekte entstanden, wie das Sitzsackprojekt, das gemeinsame Grillen bei den Arcaden. Es braucht jemanden, die oder der sich „kümmert“, jemand der die Menschen und Organisationen immer wieder zusammenbringt.

Ist für sie die Messestadt ein lebenswerter Stadtteil, auf den die Bewohner stolz sein können?
Die Messestadt ist schon toll. Der Stadtteil kann stolz sein auf seine Vielfalt. Wir haben keine Majorität einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, das ist hier gut gemischt, und das ist etwas sehr, sehr Gutes. Die Stadt München muss aber aufpassen, dass sie diesen Stadtteil nicht vergisst. Und: Ich sehe eine große Gefahr, dass die Spalter und Populisten die Überhand gewinnen. Die große Frage ist, wie kann es gelingen, dass die Menschen, die hier leben die Hoheit behalten über die guten Narrative? Das ist eine große Herausforderung. Auch hier wäre es gut, wenn es jemanden gäbe, die oder der das in die Hand nähme. Die Organisationen müssten sich zusammentun und sich darum kümmern. Da sehe ich durchaus gute Chancen, sich über das Positive und Gemeinsame zu definieren, statt das Trennende zu suchen.

Wenn Sie das sagen, könnte ich mir vorstellen, dass Sie so ein Kümmerer sein könnten. Wenn es eines Tages in der Messestadt die Position der Stadtteil-Bürgermeisterin oder des -Bürgermeisters zu besetzen gäbe, dürfen die Messestädter auf den Blesch zukommen, ob er das Amt übernehmen wollen würde?
Wenn so ein Amt ausgeschrieben würde, würde ich mich sofort bewerben.

Wäre es nicht an der Zeit, eine solche Position zu schaffen?
Es gilt in allen Städten, kleinräumliche Beteiligung und Zusammenleben zu organisieren. Das können wir von dörflichen Strukturen lernen. Dafür braucht es Menschen, die das in die Hand nehmen. Sei es als Bürgermeister/innen, Quartiersmanager/innen, wie immer man das bezeichnen mag. Es braucht ein Gesicht das bekannt ist, auf das man die Dinge auch werfen kann, seien es Sorgen, seien es Ideen. Wenn man beim Städtetag die vielen tausenden Bürgermeister/innen erlebt, dann sieht man Persönlichkeiten, von einem ganz eigenen Schlag: Die kümmern sich letztlich und wenn es sein muss um alles. Unsere Bezirksausschüsse sind da viel zu weit weg. Wir müssen in die Quartiere hinein, dort präsent und sichtbar sein, wo die Menschen leben.

Was machen sie in Zukunft? Sie gehen ja noch nicht in Rente?
Wohin ich gehen werde, kann ich leider noch nicht sagen. Das wird sich erst in den nächsten Wochen entscheiden. Gerne möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken, für die viele Menschen, die ich in den vergangenen Jahren hier habe kennenlernen dürfen, für die Zusammenarbeit und die damit verbundenen Begegnungen. Ich wünsche den Menschen in der Messestadt von Herzen alles Gute und eine Gemeinschaft, in der jede/r für sich und den anderen Verantwortung trägt und in der jede/r die Chance hat auf ein gutes, selbstbestimmtes Leben – in einer Weltder Offenheit, Vielfalt und Toleranz.

Interview: Gerhard Endres

STARTSTARK engagiert sich seit 2017 für junge Menschen in der Messestadt, betreibt unter anderem den Jugendtreff Gate 6 in der Heinrich-Böll-Straße 5 und hat sich für eine Kinderarztpraxis im Viertel eingesetzt.

Weitere Infos auf www.startstark.de